Hochgall  (3436 m)

Nordwestgrat über das Graue Nöckl                                                                                                                                                                      Schwierigkeit:  ZS-

Hochgall - Kasseler Hütte - Nordwestgrat, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Der Hochgall mit der Alten Kasseler Hütte (in Bildmitte) aus der Sicht von Rein in Taufers. Der NW-Grat befindet sich in Falllinie unter dem Gipfel, ebenso wie das Graue Nöckl, dessen Grate ein Dreieck unter dem Hochgallgipfel bilden.

 

Der Hochgall ist einer der majestätischsten und imposantesten Gipfel der Ostalpen. Sein Normalweg führt von der (Alten) Kasseler Hütte (2276 m; Hochgallhütte, Rifugio Roma) über das Graue Nöckl (3084 m) und den Nordwestgrat zum Gipfel. Dabei erlebt man einen Berg, den man als streng bezeichnen kann, der aber nicht hinterhältig ist, sondern geradlinig und transparent. Die Anforderungen erreichen knapp die Stufe einer ziemlich schwierigen Hochtour (ZS-) und damit ist der Hochgall einer der schwierigsten Zentralalpengipfel östlich des Brennerpasses. Wer diese Klassetour erlebt hat und wen die starken Eindrücke nicht loslassen, die der höchste Berg der Rieserfernergruppe bei seiner Besteigung hinterlässt, der kann wahrscheinlich meine Einstufung verstehen: Ich denke, der Hochgall gehört zu den drei Top-Gipfeln der Hohen Tauern, zu denen ich auch den Großglockner und den Großvenediger zähle. Nicht nur, weil er schwieriger ist als die beiden anderen, sondern auch ursprünglicher und eindrücklicher, würde ich ihn persönlich sogar über den Glockner und den Venediger stellen.

 

Der Hochgall war für mich persönlich immer eine Messlatte, ein Prüfstein, der bezogen auf meine Alleintouren für meine obere Grenze stand. Über einen Zeitraum von 12 Jahren verzichtete ich immer wieder einmal auf einen Besteigungsversuch: Mal wich der Neuschnee zu langsam aus seinem obersten Gratabschnitt, mal glaubte ich durch die Anstrengungen einer anderen Tour nicht genügend „auf der Höhe“ zu sein und manchmal gab ich mich einfach zufrieden mit den Touren eines Jahres und verschob den Hochgall auf ein neues Jahr. Es ist halt ein Berg, der witterungsmäßig nicht so oft geeignet ist und für den ein durchschnittlicher Bergsteiger in guter Form sein sollte. Schließlich wählt man sich ja eine Messlatte, um sie zu schaffen!

 

Am 20. August 2023 stimmte dann endlich alles bei mir: Eine stabile Hitzeperiode hatte den Neuschnee vollständig abgeschmolzen und Akklimatisation und Fitnessstand passten auch. Auf der Kasseler Hütte hatte ich mit einem vom Hochgall zurückkehrenden Bergsteiger gesprochen. Er betonte die Länge der Kletterei und die andauernden Anforderungen an Konzentration, Kletterroutine und Schwindelfreiheit. Sein Fazit, das ich hiermit weitergebe: Man sollte beim Aufstieg „durchziehen“ und zum „Durchziehen“ auch in der Lage sein. Diese Taktik bewährte sich bei meinem Aufstieg und verschaffte mir genügend Zeit für den Abstieg. Das ist gut, weil man beim Abstieg wahrscheinlich schon etwas müde ist, aber weiterhin die volle Konzentration braucht. Die Schwierigkeiten erreichen oft den 2. Grad, so oft, dass ich mir das Zählen der „Zweierstellen“ für die Tourenbeschreibung sparen konnte. Darüber hinaus ist es für jeden Neuling auf diesem Berg nicht unwahrscheinlich, dass ihm auch einmal eine Stelle 2+ oder sogar 3- unterkommt. Dass man nicht ständig das leichteste Durchkommen findet, liegt an der schieren Länge der Kletterei: Es sind mindestens 550 Höhenmeter im Aufstieg und ebenso viele im Abstieg zu klettern. Wenn man die horizontale Dimension einbezieht, hat man es mit etwa 1800 Metern (leichter) Kletterei zu tun. Aber das in wirklich gutem Fels, der die Nerven beruhigt und die Kletterei zum Vergnügen macht.

Hochgall - Antholzer Scharte - Nordwestgrat, Graues Nöckl, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Der Aufstieg zum Hochgall aus Sicht der Antholzer Scharte: Von den Gletscherseen (links) über den Schutt- und Moränenkegel hinauf auf's Graue Nöckl (Mitte), dann der zum Gipfel hin steiler werdende Nordwestgrat, der sich gegen den Himmel abzeichnet.
Hochgall - Zustieg Graues Nöckl - Nordwestgrat, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Die drei Bergsteiger erreichen in wenigen Minuten die Gletscherseen (hier verdeckt), an denen der Aufstieg zum Grauen Nöckl (oberer linker Bildrand) beginnt.
Hochgall - Moräne am Grauen Nöckl - Nordwestgrat, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Hier befinde ich mich auf der Moräne, die über Schutt hinauf zum Westgrat des Grauen Nöckls führt. Rechts oben beginnt in den plattigen Felsen des Grates die Kletterei.
Hochgall - Kletterei Graues Nöckl - Nordwestgrat, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Die Kletterei auf dem blockigen Westgrat des Grauen Nöckls erreicht bereits regelmäßig den 2. Grad. Die brüchige Flanke (links) ist aber definitiv schlechter.
Hochgall - Gipfel Graues Nöckl - Nordwestgrat, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Kletterszene am Grauen Nöckl, wenige Minuten vor Erreichen des Gipfels (3084 m).
Hochgall - Graues Nöckl ausgesetzte Kletterei - Nordwestgrat, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Vom Grauen Nöckl kann man gut die ausgesetzte Kletterei des folgenden, horizontalen Gratabschnitts beobachten.
Hochgall - Graues Nöckl Querung - Nordwestgrat, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Die beiden Bergsteiger im Vordergrund nähern sich dem Punkt, an dem sie steil in die tiefste Scharte zwischen Grauen Nöckl und Hochgall absteigen müssen.
Hochgall - Scharte Drahtseil - Nordwestgrat, Graues Nöckl, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Mit Drahtseilhilfe geht es über 20 Meter steil hinab in die tiefste Scharte. Geübte Bergsteiger schaffen das bei trockenen Bedingungen auch ohne Klettersteigsicherung.
Hochgall - Wiederaufstieg Scharte - Nordwestgrat, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Die sonnenbeschienene Wand im unteren Bildteil ist ebenfalls im 2. Schwierigkeitsgrad. Dort erfolgt der Wiederaufstieg auf der anderen Seite der tiefen Scharte.
Hochgall - Bandquerung Nordseite - Nordwestgrat, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Anschließend wird der Aufstieg vorübergehend etwas leichter: Mehrere Gratzacken werden auf der Nordseite auf Schuttbändern (im Bild rechts, Blickrichtung rückwärtsgewandt) umgangen.
Hochgall - Gletschereis Nordwand - Nordwestgrat, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Hängende Eisfelder in der Nordwand des Hochgalls.
Hochgall - oberer Nordwestgrat - Graues Nöckl, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Oberhalb eines ebenen Absatzes auf etwa 3250 Metern Höhe nehmen Steilheit und Schwierigkeiten wieder zu.
Hochgall - Felsplatte mit Rissen - Nordwestgrat, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Eine Felsplatte mit tiefen, parallelen Rissen erschien mir im Aufstieg als 2. Grad, fühlte sich im Abstieg später jedoch mehr wie 2+ an.
Hochgall - gesicherte Felsplatte, oberer Nordwestgrat - Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Im obersten Abschnitt des Nordwestgrats warten nur noch ein paar mäßig steile Felsplatten mit Seilsicherung.
Hochgall - trittarme Felsplatte mit Drahtseil, oberer Nordwestgrat - Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Die Hangelei am Drahtseil fordert bei dermaßen trittarmen Platten einiges an Armkraft. Solange sie trocken sind, sollte es aber kein Problem sein.
Hochgall - Gipfelgrat - Nordwestgrat, Graues Nöckl, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Beim Anblick des Gipfelgrats - nur noch eine kurze Zweierstelle ist zu bewältigen - haben wohl schon viele vor mir große Freude und Stolz empfunden.
Hochgall - Gipfelpanorama - Nordwestgrat, Graues Nöckl, Normalweg, Bergtour, Rieserfernergruppe, Südtirol
Am Horizont die vergletscherte Tauernprominenz. Egal ob Dreiherrenspitze, Venediger oder Glockner - der Hochgall ist ihnen mindestens ebenbürtig. Was für ein großartiger Aufstieg war das gewesen!